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Sahara-Felszeichnungen – ein Internet-Projekt
Rind mit Kopfschmuck, Felszeichnung
Ausschnitt ca. 90 x 150 cm
Messak Settafet, Wadi In Elobu

Oben: Fotografie
Mitte: Umzeichnung
Unten: Freistellung

Die Frage des Umgangs mit den Felszeichnungen der Sahara wie überhaupt mit aussereuropäischer, sogenannter prähistorischer oder primitiver Kunst wirft eine Reihe von Fragen auf: Wieweit sind sie dem heutigen Verständnis zugänglich, abgesehen von der Bewunderung, die sie hervorrufen? Wieviel Respekt erfordert sie, wieviel Freiheit erlaubt sie? Wieweit darf die Interpretation gehen?
Die Erfahrung hat gezeigt, dass dabei grösste Zurückhaltung geboten ist. Auch müssen wir akzeptieren, dass auf viele auftretende Fragen keine Antwort möglich ist. Eine andere Überlegung stellt zur Diskussion, ob beim Umgang mit diesen fremden und aus fernen Weltteilen kommenden Kunstwerken die persönliche Erfahrung, die bei der Rezeption gemacht wird, ausgeschlossen werden muss.

Wir gehen davon aus, dass die persönliche Sichtweise unverzichtbar ist. Sie ist es, die den Zugang zu den Felszeichnungen erschliesst, ohne auf einer endgültigen Interpretation zu beharren und ohne diesen fremden Kunstwerken materiellen oder ideellen Schaden zuzufügen.

Die Felszeichnungen, von denen wir ausgehen, werden in einen weltweiten künstlerischen und ästhetischen Zusammenhang gestellt. Sie zeigen, dass zu allen Zeiten und unter verschiedenen Umständen die Menschen versucht haben, ihr Leben und ihre Welt bildlich (nämlich in einem Weltbild) auszudrücken und für sich, aber vielleicht auch für andere, zu vermitteln. Insofern ist ein freier Umgang mit den fremden Werken geradezu die Voraussetzung für ihre angemessene und vertiefte Würdigung. Wir stehen in der Tat vor ihnen wie vor einer begeisternden Offenbarung.

Die Frage, die sich sodann stellt, ist die, ob bei diesem Vorgehen die Kunstwerke nicht in einem fremden, unzulässigen Sinn angeeignet und in einem neuerlichen Sinn kolonialisiert werden. Wenn wir davon ausgehen, dass im postmodernen Verständnis alles mit allem zusammenhängt, dass es keine Grenzen und keine reservierten Domänen gibt, auch in der Kunst nicht, dann versuchen wir, auf die Felszeichnungen und die Formen und Erscheinungen fremder Kunstwerke einzugehen und sie weiterzuführen, jedoch mit unseren eigenen Mitteln. Wir akzeptieren dabei, dass andere Menschen mit unserer eigenen Kunst in gleicher Weise verfahren.

Wenn wir die Sahara-Felszeichnungen etwa mit Louis Soutter oder A. R. Penck, immer mit dem gebotenen Vorbehalt, in Verbindung bringen, dann tun wird das auch im umgekehrten Sinn, also so, dass wir Soutter und Penck an den Felszeichnungen messen.

Wir erkennen dann eine Permanenz der künstlerischen Ausdrucksweisen und eine Übereinstimmung der Motive und anerkennen auf diese Weise das kreative Potenzial des Menschen. Wir kommen also weiter in der Betrachtung der Felszeichnungen der Sahara, wenn wir uns von einer eng gefassten archäologischen, paläontologischen und strikten Motivforschung und Auseinandersetzung lösen.

Unsere Vorgehensweise ist also nicht so sehr vergleichend oder analysierend als vielmehr assoziativ. Sie verbindet das Nahe und das Ferne, das Eigene und das Fremde. In diesem Sinn sind wir nicht multikulturell, sondern eher transkulturell.

Das Internet erscheint uns als idealer Ort, um die verschiedensten künstlerischen und kreativen Initiativen der Menschen überall auf der Welt und zu allen Zeiten zusammenzufügen, zum Beispiel, wie oben, Soutter oder Klee oder Penck mit den Felszeichnungen..

Das Internet kommt unseren Absichten dabei insofern entgegen, als es keinen Besitzanspruch erhebt, sondern Anschlüsse herstellt und die Zirkulation, also Verbindung und Verbreitung, begünstigt.

Das Internet kann also als Agentur für einen weltweiten Kulturaustausch verwendet werden, wobei die Sampling-Methode ideale Dienste leistet. Alles kann mit allem verknüpft werden.

In diesem Bestreben stellen wir Beispiele von Felszeichnungen im Bild vor und heben mit Umzeichnungen ihre charakteristischen Bildvorstellungen hervor. Wir werden aber nach und nach auch Graffiti-Kunst in den Strassen in Libyen mit der Felskunst aus der Sahara zusammenführen und auf diese Weise zeigen, wie gleiche Ideen sich in einer vergleichbaren, aber nicht gleichen Weise entwickelt haben; wir werden libysche Künstler von heute vorstellen; wir werden schriftliche Dokumente zitieren und zur Abrundung veröffentlichen sowie Literaturhinweise geben.

Jörg Mollet, der sich als Künstler von der Wüste, von Felszeichnungen und Steinsetzungen, anregen liess und seine Eindrücke in seinem Werk umgesetzt hat, und Aurel Schmidt als Schriftsteller werden ihre eigenen Beiträge zum Thema und zu diesem Internet-Projekt beisteuern.

Wir wissen, dass wir nicht allein am Thema der Sahara-Felsbilder arbeiten und wünschen, mit allen anderen kreativ tätigen Menschen in Verbindung zu treten.

Das Internet, anders als eine Buchpublikation, ist zu diesem Zweck ideal geeignet. Es macht ein prozessuales, mobiles Vorgehen möglich und ist ein offenes Medium, das unseren Absichten entgegenkommt. Das heisst, wir können laufend an dem Swiss-Libyan Art Project arbeiten, es sukzessive erweitern, verändern, umbauen, ohne zu einer abschliessenden Form gezwungen zu sein.

Indem dieses Internet-Projekt die technischen Mittel und Möglichkeiten des Internets nutzt, verfolgt es den Plan, die verschiedensten Interessen zu vernetzen. Dieser längst in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangene Begriff bezieht sich nicht nur auf das World Wide Web, sondern meint in einem übertragenen Sinn auch soviel wie zusammenführen, verbinden, zusammengehörig machen, aus den einzelnen Teilen etwas gesamthaft Neues herstellen.

Ausgehend von den Felszeichnungen in der libyschen Sahara, stellt dieses Internet-Projekt mit seinen Zielsetzungen und assoziativen Verkettungen also den Anspruch, selbst ein Kunstwerk, ein Gesamtkunstwerk, zu sein.

Gelingt es, die Felskunst zugänglich zu machen und ihre oft unglaubliche, formale Kühnheit und überwältigende Schönheit nahe zu bringen, ist ein wesentliches Anliegen erfüllt. Die Felszeichnungen und -malereien in der Sahara sind heute extrem gefährdet und müssen geschützt werden. Die Erdölindustrie ist in der libyschen Wüste tätig und setzt die Kunstwerke hohen Risiken aus. Wieweit der Klimawandel zu einer Gefährdung beiträgt, ist schwer zu sagen, kann aber nicht ausgeschlossen werden. Eine dritte Bedrohung geht vom Tourismus und von Fundräubern aus.

Wir wollen also auf die grossartige künstlerische Qualität der Felszeichnungen, aber auch warnend auf ihre materielle Gefährdung (siehe Jeremy Keenan: "Tourism, Development and Conservation: a Saharan Perspective", PDF 172KB) aufmerksam machen.

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